Warum sollten Apotheken künftig nicht Aufgaben der Hausärztinnen und Hausärzte übernehmen?
Das sogenannte Vier-Augen-Prinzip – Ärztinnen und Ärzte diagnostizieren und verschreiben, Apothekerinnen und Apotheker prüfen und geben Arzneimittel ab – ist ein wichtiges Qualitätsmerkmal der Patientenversorgung. Wird dieses Prinzip aufgeweicht, drohen fehlerhafte und damit gefährliche Arzneimitteltherapien, eine bedenkliche Zerstückelung der Versorgung und ein Verlust an Patientensicherheit.
Aber braucht es denn wirklich immer eine ärztliche Einschätzung? Oder können das nicht auch mal die Apotheken übernehmen?
Apothekerinnen und Apotheker können nicht zuverlässig erkennen, ob zum Beispiel ein vermeintlich unkomplizierter Harnwegsinfekt nicht doch einen schwierigen Verlauf nimmt oder eine ernsthafte Erkrankung dahintersteckt. Das lernt man nur im Medizinstudium und in der ärztlichen Weiterbildung! Bei aller Wertschätzung für die Arbeit und Kompetenz von Apothekerinnen und Apothekern: Sie verfügen nicht über die notwendige fachliche Expertise, um Diagnosen zu stellen.
Wenn Ihnen jemand sagt: „In der Praxis muss ich lange warten, in der Apotheke komme ich sofort dran“, was antworten Sie dann?
Zunächst einmal: In Deutschland gibt es über 50.000 Hausarztpraxen – im Gegensatz zu gut 17.000 Apotheken. Aber der entscheidende Punkt ist doch: Priorität muss immer die Patientensicherheit haben. Als Patientin oder Patient wollen Sie doch eine fundierte ärztliche Einschätzung – und nicht Medikamente wie beispielsweise Antibiotika über den Tresen verabreicht bekommen.
Sie haben sich ja auch gegen die Ausweitung von Impfungen in der Apotheke ausgesprochen. Warum?
Nehmen wir das Beispiel Grippe- und Covid-Impfungen. Beide Impfungen dürfen schon jetzt in Apotheken durchgeführt werden, sie werden aber nur in sehr geringem Umfang nachgefragt. Der Bedarf ist offensichtlich nicht da. Außerdem wissen wir inzwischen aus Studien, dass mehr Impfstellen nicht automatisch zu mehr Impfungen führen, sondern dass vor allem bessere ärztliche Koordination und Begleitung die Impfquoten steigern.
Man hört immer wieder, das Gesundheitssystem müsste entlastet werden. Wenn das über die Apothekenreform nicht funktioniert, was könnte denn eine Alternative sein?
Wir müssen endlich einmal an die Ursachen ran, statt irgendwelche Hauruckaktionen zu machen, die am Ende mehr schaden als nutzen.
Das größte Problem ist: Unser Gesundheitswesen ist chaotisch. Zu oft weiß die eine Hand nicht, was die andere macht. Aber es gibt eine Alternative, die zeigt, wie es besser gehen kann: das Hausarztprogramm „Hausarztzentrierte Versorgung“, kurz HZV. Wir Hausärztinnen und Hausärzte sind hier der erste Ansprechpartner, und wir koordinieren die gesamte Behandlung. Studien belegen, dass wir den Großteil – über 80 Prozent – der medizinischen Beschwerden unserer Patientinnen und Patienten abschließend versorgen können und dass chronisch Kranke, die an dem Programm teilnehmen, länger leben und dass sie weniger mit Komplikationen zu tun zu haben.
Wer das Gesundheitssystem also wirklich entlasten will, muss die hausärztliche Versorgung und das Hausarztprogramm stärken – statt sich in Konzepten wie der Apothekenreform zu verlieren.
Dr. Markus Beier
Der Facharzt für Allgemeinmedizin war von 2006 bis Ende 2024 in einer Gemeinschaftspraxis niedergelassen; seit 2025 arbeitet er als angestellter Arzt. Außerdem ist er seit September 2022 Bundesvorsitzender des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes sowie Ehrenvorsitzender des Bayerischen Hausärzteverbandes.