„Apotheken können keine Hausärzte ersetzen“

Der Vorsitzende des Bayerischen Hausärztinnen und Hausärzteverbandes, Dr. Wolfgang Ritter, zu Risiken und Nebenwirkungen der geplanten Apothekenreform.

Dr. Wolfgang Ritter, Vorsitzender des Bayerischen Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes. (Foto: BHÄV/EYE AM CHRIS)

Die vom Bundesgesundheitsministerium geplante Apothekenreform stößt bei Hausärztinnen und Hausärzten auf Kritik. Konkret geht es um die Abgabe von verschreibungspflichtigen Medikamenten durch Apotheken, ohne vorherige ärztliche Untersuchung und Verschreibung. Warum die Pläne eine ernsthafte Gefahr für die Patientensicherheit darstellen und auch andere Probleme eher verstärken als lösen, erklärt der Landesvorsitzende des Bayerischen Hausärztinnen und Hausärzteverbandes (BHÄV), Dr. Wolfgang Ritter.

Warum ist es keine gute Idee, Apotheken künftig Aufgaben der Hausärztinnen und Hausärzte übernehmen zu lassen?

Dr. Ritter: Apotheken als wichtige Säulen unseres Gesundheitssystems zu stärken, ist sicher ein richtiges Anliegen. Ihnen aber ärztliche Aufgaben zu übertragen, die eine ärztliche Qualifikation erfordern, ist der falsche Weg. Dadurch würde das sogenannte Vier-Augen-Prinzip – Ärztinnen und Ärzte diagnostizieren und verschreiben, Apothekerinnen und Apotheker prüfen und geben Arzneimittel ab - aufgeweicht. Damit drohen fehlerhafte und gefährliche Arzneimitteltherapien, eine bedenkliche Zerstückelung der Versorgung und ein Verlust an Patientensicherheit.

Wo liegen die Risiken für die Patientensicherheit?

Dr. Ritter: Nehmen Sie zum Beispiel das Vorhaben, wonach Apotheken künftig verschreibungspflichtige Medikamente auch ohne ärztliche Verordnung abgeben dürfen, wenn es sich um Folgerezepte für chronisch Kranke handelt oder es um die Behandlung von sogenannten unkomplizierten Erkrankungen geht – beides überschreitet aus hausärztlicher Sicht entschieden eine rote Linie: Apotheken können keine Hausärzte ersetzen!

Nur wenn ein chronisch kranker Patient sich regelmäßig in der Arztpraxis vorstellt, kann der Therapieverlauf kontrolliert und die Therapie gegeben falls angepasst werden. Und wie soll eine Apothekerin oder ein Apotheker zuverlässig erkennen, ob dem auf den ersten Blick harmlosen Infekt eine beginnende Lungenentzündung zugrunde liegt oder der vermeintlich unkomplizierte Harnwegsinfekt gerade einen gefährlichen Verlauf nimmt?

Was spricht gegen die Ausweitung von Impfungen oder Screenings in der Apotheke?

Dr. Ritter: Wenn Apotheken nun vermehrt Früherkennungsuntersuchungen vornehmen sollen, ohne den Patienten und seine Krankengeschichte zu kennen, fehlt zum einen die Kenntnis, was in der Hausarztpraxis bereits gemacht wurde, Stichwort Doppeluntersuchung, zum anderen die Kompetenz, die Ergebnisse korrekt einordnen zu können. Das lernt man nur im Medizinstudium und in der ärztlichen Weiterbildung! Bei aller Wertschätzung für die Arbeit und Kompetenz von Apothekerinnen und Apothekern: Sie verfügen nicht über die notwendige fachliche Expertise, um Diagnosen zu stellen.

Außerdem hängt der Erfolg von vielen präventiven Maßnahmen entscheidend von einer kontinuierlichen Versorgung ab. Folge ist, dass wir in den Praxen vermehrt mit verunsicherten Patienten konfrontiert sein werden, die zusätzliche Ressourcen binden und unnötig Kosten verursachen. Apotheken ärztliche Aufgaben zu übertragen, die eine ärztliche Qualifikation erfordern, bringt somit auch den hausärztlichen Praxen keine Entlastung, sondern stellt eher eine zusätzliche Belastung dar und würde zudem in einer finanziell angespannten Lage zusätzliche Kosten für das Gesundheitssystem verursachen.

Damit ist niemandem geholfen, und die Vorschläge konterkarieren auch das Vorhaben der Bundesregierung, ein Primärarztsystem zu etablieren, in dem der Hausarzt/die Hausärztin erste Ansprechpartner bei Gesundheitsproblemen sind und die Behandlung koordinieren.

Die Koordination durch den Hausarzt/die Hausärztin hilft auch nachweislich, die Impfquoten zu steigern. Niedrige Impfquoten liegen nicht an den Ressourcen in der Hausarztpraxis und werden durch das Schaffen zusätzlicher Impfstellen in Apotheken auch nicht wesentlich steigen. In der letzten Saison wurden nur 1% der im ambulanten Bereich verabreichten Influenza-Impfungen von Apotheken erbracht. 

Vielmehr würde hier der lange überfällige digitale Impfpass eine sinnvolle Maßnahme darstellen. Beim Thema Impfen spricht alles dafür, Verantwortung bei denjenigen zu belassen, die ihre Patientinnen und Patienten kontinuierlich versorgen und mit ihren persönlichen Risiken kennen.

Man hört immer wieder, das Gesundheitssystem müsste entlastet werden. Wenn das über die Apothekenreform nicht funktioniert, was könnte denn eine Alternative sein?

Dr. Ritter: Wir müssen endlich einmal an die Ursachen ran, statt irgendwelche Hauruckaktionen zu machen, die am Ende mehr schaden als nutzen. Wer das Gesundheitssystem wirklich entlasten will, muss die hausärztliche Versorgung und das Hausarztprogramm stärken – statt sich in Konzepten wie der Apothekenreform zu verlieren.

Gut zu wissen:

Wer an der Hausarztzentrierten Versorgung (HZV) teilnimmt, ist schon jetzt im Vorteil. Die HZV, auch als Hausarztprogramm bekannt, ist ein freiwilliges Primärarztsystem, bei dem sich die Patientinnen und Patienten auf ihre Hausärztin oder ihren Hausarzt ihres Vertrauens für mindestens ein Jahr festlegen. Als zentrale Ansprechpartner in Gesundheitsfragen kennen Hausärztinnen und Hausärzte so Ihre Vorerkrankungen, Medikationen sowie persönlichen Umstände und haben nicht nur Ihren optimalen Impfschutz im Blick.

Falls Sie also noch nicht am HZV-Programm Ihrer Kasse teilnehmen, fragen Sie beim nächsten Besuch in ihrer hausärztlichen Praxis einfach nach.